Ende Mai kam Post von einem befreundeten Bauern, die wir hier mit seiner freundlichen Genehmigung sehr gern veröffentlichen:

Liebe Freundinnen und Freunde, Bekannte, Verwandte, Zugewandte und Kund*innen

in den letzten Wochen wurde ich immer wieder als „Fachmann“ zu den beiden Agrarinitiativen angesprochen, über die wir am 13. Juni abstimmen werden. Ich habe versucht, einige wichtige Aspekte zusammenzufassen. 

Ziele der Initiativen sind richtig

Die Initiativen wollen die standortgerechte Tierhaltung fördern, den Import von Futtermitteln und die Anwendung vorbeugender Antibiotika in der Tierhaltung vermindern und vor allem den Einsatz chemisch-synthetischer Pestizide einschränken bzw. verbieten. Dies alles sind Kernanliegen des Biolandbaus. Es sind Werte, die mir in meinem gesamten Berufsleben wichtig waren und die dazu geführt haben, dass ich Biobauer geworden bin. Es sind Werte, die ich richtig finde und für die ich einstehe. Deshalb ist für mich klar, dass ich am 13. Juni zu den beiden Agrarinitiativen Ja sagen werde. Ich bitte euch alle, ebenfalls 2 x Ja zu stimmen. 

Eine ideale nachhaltige Landwirtschaft würde auf die Möglichkeiten aufbauen, die der Boden bietet. Auf den Wiesen und Weiden würden Wiederkäuer gehalten für die Milch- und Fleischproduktion, auf den Ackerflächen würden Getreide, Hülsenfrüchte, Ölsamen und Gemüse für die menschliche Ernährung angebaut. Schweine und Geflügel würden in kleiner Zahl gehalten, um Nebenprodukte aus der Lebensmittelverarbeitung zu verwerten. 

Reale Verhältnisse sind extrem

Die Realität sieht leider komplett anders aus. Nur gerade 37% der Getreidemenge, die in der Schweiz verbraucht wird, gelangt in die menschliche Ernährung, 56 % wird an Legehennen, Mastpoulets, Schweine und auch Rinder verfüttert. Fast zwei Drittel des verfütterten Kraftfutters wird importiert (bei Soja liegt der Importanteil bei 98%!), nämlich zwischen 1,4 und 1,8 Millionen Tonnen pro Jahr. Auf die Schweizer Bevölkerung verteilt sind das rund 200 Kilo importiertes Futtergetreide und Soja pro Kopf und Jahr, eine Tonne für eine fünfköpfige Familie! 

In der Kälber-, Schweine- und Geflügelmast werden gesunden Tieren standardmässig vorbeugend Antibiotika verabreicht, um zu verhindern, dass sich Krankheitserreger ausbreiten könnten. Das ist das ideale Setting, um Resistenzen zu züchten. Im Biolandbau sind prophylaktische Antibiotika richtigerweise verboten – das sollte längstens für die ganze Landwirtschaft gelten. 

Die chemische Keule und ihre Kollateralschäden

Pestizide, die Insekten, Pilze, Milben, Kräuter und Gräser von den Kulturpflanzen fernhalten sollen, wirken immer auch auf erwünschte Organismen, die für das Ökosystem, die Artenvielfalt und die natürliche Bodenfruchtbarkeit von Bedeutung sind. Substanzen, die Pilzkrankheiten im Getreide-, Kartoffel- oder im Gemüsebau eindämmen, schädigen auch Pilze im Boden, die für die Humusbildung eine bedeutende Rolle spielen. Insektizide gegen „Schadinsekten“ schädigen auch Bienen und Schmetterlinge. Zwar versuchen die Anwender, die Streuwirkung der chemischen Keulen zu minimieren, aber sie nehmen Kollateralschäden zwangsläufig in Kauf. 

Pestizide müssen durch eine Behörde geprüft und zugelassen werden. Dabei werden Pestizide der „alten Generation“ vom Markt genommen, weil ihre Schädlichkeit nicht mehr zumutbar ist. Ersetzt werden sie durch Pestizide der „neuen Generation“, die vermeintlich „so harmlos sind, dass man sie trinken kann“. So wurde vor 40 Jahren argumentiert, als ich meine landwirtschaftliche Ausbildung startete. Allerdings stehen Pestizide, die damals als „modern“ galten, heute in der Kritik. Etwa Glyphosat (Roundup) von Monsanto, gegen das in den USA eine Sammelklage läuft und das in der EU und in der Schweiz vor wenigen Jahren verboten werden sollte, weil es gemäss WHO krebserregend ist. Die Zulassung wurde 2017 in der EU in einem aufsehenerregenden haarscharfen Lobby-Entscheid dann doch noch verlängert; die Schweiz zog nach. 

Diese Wende muss ohnehin kommen

Heute sind wir der Meinung, dass es verantwortungslos war, dass vor 50 oder 100 Jahren Arsen oder DDT als Pflanzenschutzmittel verwendet wurden. In 50 oder 100 Jahren werden unsere Gross- und Urgrosskinder der Meinung sein, es sei absurd gewesen, dass jemals jemand auf die Idee gekommen sei, Gift über Lebensmittel zu sprühen. Die Verwendung von chemisch-synthetischen Pestiziden wird als eine wenige Jahrhunderte dauernde Episode in die Geschichte der Landwirtschaft eingehen. Für mich ist klar: Dieses Konzept ist falsch und hat keine Zukunft, denn die Risiken und Nebenwirkungen für die Umwelt, die Tiere und die Menschen sind viel zu erheblich. Die Wende zu einer vernünftigeren, standortgerechten Landwirtschaft ohne Chemieeinsatz wird ohnehin kommen, egal, wie in der Schweiz abgestimmt wird. Die beiden Agrarinitiativen können den Prozess beschleunigen. Deshalb lohnt es sich, am 13. Juni 2 x Ja zu stimmen.

Was soll an den Initiativen „extrem“ sein?

Momentan ist die Landschaft übersät mit Plakaten des Bauernverbands, welche die „extremen“ Vorlagen ablehnen. Mitfinanziert wird die Nein-Kampagne vom Agrobusiness, das die Milliardenumsätze aus Futtermittelimporten und dem Vertrieb von Kunstdünger und Pestiziden sichern will. Bei der Trinkwasserinitiative bläst sogar Bio Suisse ins gleiche Horn, weil der Verband um die Pionierrente seiner Mitglieder fürchtet. Was an den Initiativen „extrem“ sein soll, bleibt mir indessen unklar. Ist es extrem, für eine Landwirtschaft einzustehen, welche die Tiere ohne Importfutter und vorbeugende Antibiotika zu versorgen vermag? Oder für einen Pflanzenbau, der ohne chemisch-synthetische Trickkiste hochwertige Lebensmittel erzeugt? Ich glaube, das ist nicht extrem, sondern notwendig. 

Die beiden Initiativen haben auch ihre Mängel, weisen insgesamt aber in die richtige Richtung. Bei einer Annahme haben die Behörden in Zusammenarbeit mit der Politik und der Landwirtschaft 8 bzw. 10 Jahre Zeit, um diese Mängel auszuräumen und einen für alle verträglichen Umbau der Agrarpolitik vorzunehmen. Kurzfristig mag es eine Herausforderung sein. Langfristig ist es nicht zum Schaden, sondern zur Stärkung der einheimischen Landwirtschaft.

Herzliche Grüsse

Alfred Schädeli vom Hof Looren, Wernetshausen